Der öffentliche Dienst in Deutschland ist ein Sanierungsfall – rund 300.000 Beschäftigte fehlen aktuell. dbb Chef Ulrich Silberbach fordert deshalb bei der dbb Jahrestagung in Köln massive Investitionen in den Staatsdienst.
300.000 Menschen fehlen einer Verbandsabfrage des dbb zufolge derzeit im öffentlichen Dienst – „in der frühkindlichen Bildung, in Schulen und Berufsschulen, bei den Sicherheitsbehörden, in Justiz und Finanzämtern, im Gesundheitsdienst, in der Pflege, in der Sozialen Arbeit, im technischen Dienst, bei den Bürgerdiensten, in der Lebensmittelkontrolle, in Natur- und Umweltschutz“, gab Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des Dachverbands der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, in seiner Auftaktrede zur dbb Jahrestagung am 6. Januar 2020 in Köln bekannt und ergänzte: „In den kommenden zehn Jahren werden zudem mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte in den Ruhestand gehen. Damit steht uns ein ganz gewaltiger Verlust von Arbeitskraft und Knowhow ins Haus. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, den der öffentliche Dienst zu bewältigen hat – und leider sind wir bislang noch nicht einmal richtig aus den Startlöchern gekommen. Das ist wirklich dramatisch. Wir müssen schleunigst die Beine in die Hand nehmen und zusehen, dass wir den öffentlichen Dienst mit sinnhafter Digitalisierung und nachhaltiger Personalpolitik fit für die Zukunftsaufgaben bekommen.“
Silberbach warnte vor den gravierenden Folgen für Land und Gesellschaft. „60 Prozent der Bevölkerung halten den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben für überfordert. Das ist ein alarmierendes Anzeichen für den Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit unseres Staates. Wenn es bei den Berufsfeuerwehren brennt, wenn nahezu bundesweit Jugendämter, Schulen und Kitas Landunter melden, wenn Gesundheitsämter und medizinische Dienste so ausgedünnt sind, dass sie Schul- und amtsärztliche Untersuchungen, Hygienekontrollen nicht mehr ordnungsgemäß durchführen können, wenn Verfahren bei Gericht auf Halde liegen und so lange dauern, dass Tatverdächtige aus der U-Haft entlassen werden müssen, wenn man monatelang auf einen Termin im Bürgeramt warten muss – wenn der Staat immer häufiger versagt, dann bleibt das den Menschen, die hier leben, nicht verborgen. Wir verspielen ein Stück Zukunft in Deutschland, wenn wir den Sanierungsfall öffentlicher Dienst jetzt nicht zukunftsfest machen. Dann kippt nicht nur die Stimmung gegenüber dem Staat, sondern dann ist irgendwann auch der Punkt erreicht, an dem der öffentliche Dienst kein Standortvorteil für Deutschland mehr ist“, betonte der dbb Chef und forderte die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Bund, Ländern und Kommunen ausdrücklich auf: „Lasst die Beschäftigten, die ihre Pflicht erfüllen und jeden Tag ihr Bestes geben, nicht im Regen stehen! Macht endlich Euren Job, damit die Kolleginnen und Kollegen ihren machen können! Die Zeiten, in denen der Rotstift immer wieder an den öffentlichen Dienst gesetzt wird, müssen endgültig und nachhaltig vorbei sein. Die Bewältigung drängender Herausforderungen darf nicht an mangelndem Personal scheitern“, verlangte Silberbach. „Unserem Land und den Menschen, die hier leben, stehen zahlreiche Herausforderungen ins Haus, bei denen ein gut funktionierender öffentlicher Dienst stets Teil der Lösung ist. Ob Konjunktur, demografischer Wandel, Migration oder digitale Transformation – in allem steht oder fällt unser Gemeinwesen mit der Qualität der Daseinsvorsorge.“
Mit Blick auf die in der zweiten Jahreshälfte anstehende Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen erwartet der dbb deutliche Signale. „Es geht um Wertschätzung und Wettbewerbsfähigkeit“, so Silberbach. Auch das Thema Arbeitszeit habe in den vergangenen Jahren an Fahrt gewonnen – „Flexibilität und Souveränität sind hier die Stichworte. Wir nehmen wahr, dass das den Kolleginnen und Kollegen auf den Nägeln brennt. Und für die junge Generation, die wir gewinnen wollen, ist das ohnehin ein Topthema.“ Die seit 2004 von 38,5 auf 41 Wochenstunden angehobene Arbeitszeit für die Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten bezeichnete der dbb Chef als „einseitiges Sparen zu Lasten einer Gruppe“.
Eine klare Absage erteilte der dbb Bundesvorsitzende wiederkehrenden Versuchen einer Aushöhlung des Beamtenstatus, etwa durch die Schaffung von Einheitsversicherungen oder die Einführung eines Streikrechts für Beamtinnen und Beamte. Das besondere Dienst- und Treueverhältnis sei „Dreh- und Angelpunkt für die Verlässlichkeit unseres öffentlichen Dienstes ist der Beamtenstatus, ein Erfolgsmodell und Aushängeschild“, unterstrich Silberbach. Es gelte, das Berufsbeamtentum durch Modernisierung und Motivation zukunftsfest zu gestalten. Mit dem Gesetz zur Modernisierung der Strukturen des Besoldungsrechts auf Bundesebene sei ein entsprechender Einstieg geschafft, aber „das reicht uns noch nicht“, kündigte Silberbach gegenüber Bundesinnenminister Horst Seehofer an.
Die dbb Jahrestagung findet am 6./7. Januar 2020 in Köln statt – Motto in diesem Jahr: „Ideenwerkstatt Öffentlicher Dienst“. Neben Bundesinnenminister Horst Seehofer kommen unter anderem auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Juso-Chef Kevin Kühnert und Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn zusammen, um über aktuelle Herausforderungen in der gesellschaftspolitischen Debatte zu diskutieren. Am zweiten Tagungstag steht die Zukunft des öffentlichen Dienstes im Fokus: Der dbb legt eine Ideenskizze vor, wie der Staatsdienst in Zeiten des digitalen und gesellschaftlichen Wandels aufgestellt sein muss. Diskutiert wird hierzu unter anderem mit Irene Mihalic, MdB, Heike Raab, Bevollmächtigte beim Bund und in Europa des Landes Rheinland-Pfalz, und Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städte- und Gemeindebund.
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