Arbeitskreis Forstliche Umweltbildung

Wald kennt kein Corona - auf zu "Doktor Wald"

Wer hätte das gedacht? Eben ist der Wald noch großflächig als Patient in allen Medien. Und über Nacht wird er selbst als Medizin (wieder-)entdeckt. Und wirklich gebraucht: „Doktor Wald“, die grüne Praxis. Das alte, wenig bekannte Gedicht wird abgestaubt durch Corona. Eine neue Strophe ist da. Borkenkäferplagen bei den Fichten, Kahlflächen und damit drastische Verluste landschaftlicher Schönheit haben dem Wald und damit uns Forstleuten mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Viel mehr, als das bisher geschah, aber Messbares noch nicht.

Auf in den richtigen Wald
Mancher Bestseller hat das wirklich faszinierende Leben unserer Waldbäume mit etwas zeitgeistgerechter Fantasy nahegebracht. Die Menschen sind dadurch vielleicht auch am weitgehend Unsichtbaren des Waldes interessierter als je zuvor. Doch nach dem Kino ist ja oft wie vor dem Kino. Also: Vorhang zu und auf in den richtigen Wald! Denn wirklich fantastische konkrete Wirkungen hat der Wald auf uns Menschen. Auf unsere Gesundheit in allen Belangen. Hier wachsen seit einigen Jahren das Interesse der Forschung und auch die Liste seriöser wissenschaftlicher Studien. Was aus Asien nun auch bei uns unter dem Begriff des „Waldbadens“ bekannt wurde, ist inzwischen durch zahlreiche Studien belegt. Herz-Kreislauf, Psyche, Hormone, Muskeln, Krebsschutz, Vitaminhaushalt, Killerzellenspiegel und DIE LUNGE. Alles im Plus nach dem Waldbesuch.
Corona: Ein Virus steht im Mittelpunkt aller anderen Themen. Vieles, was vorher noch wichtig, dringend oder gar brandeilig war, entfällt einfach.Wirklich schade ist es natürlich um den Forstgewerkschaftstag des BDF. Zu bester Zeit 2020. Manch anderes vermissen wir nicht. Als hätten wir es gar nicht so arg gebraucht? Forst wird gebraucht. Die WC-Rollen aus vornehmlich recyceltem Papier sind knapp und sogar weit über realem Bedarf gefragt. Man ramscht aus wohl merkwürdigen Motiven. Nackte Angst? Wovor und an welch markanter Stelle? Wir Forstleute werden frische „Po-Fasern“ aus dem Wald nachliefern können. Verlasst euch drauf, aus 300 Jahren Erfahrung. Holz wird auch untenrum nicht knapp, wenn wir es richtig anstellen. Der Wald vor der eigenen Haustür wird vielfältig und mindestens natural nachhaltig genutzt.

Soziale Nachhaltigkeit mit Gesicht
Dies bedeutet für die meisten Menschen aber auch kurze Wege, um sich im Wald gesund zu halten. Soziale Nachhaltigkeit bekommt ein sehr praktisches und für jeden nützliches Gesicht. Menschen stärken sich im Wald. Raus! Gegen den „Budenkoller“. Kinder, die toben wollen und können, Familien, Paare und Freunde, die sich Zeit für den Raum der grünen Lunge nehmen. Keine Ablenkung durch Werbung, Verkehr und Verkehrtes. Dafür die ungestörte Freiheit unter den ergrünenden Baumkronen. Ja, Wald ist auch ein Ort der Besinnung und Hoffnung wider die Enge aus Beschränkungen und die Verluste von geliebten oder vorher vernachlässigten sozialen Kontakten.
Corona: Alles denkt an Lunge. Lungentod? Manche hören auf zu rauchen. Wald ist da ganz positiv. Denn Waldluft ist Medizin, Prophylaxe besonders für die Lunge. So hat exemplarisch eine Pilotstudie der Heringsdorfer Rehaklinik mit der Uni Rostock (MV) gezeigt, dass „Waldpatienten“ ein messbar stärker verbessertes Lungenvolumen hatten als die Vergleichsgruppe ohne Wald. Statistisch abgesichert? Einfach ausprobieren auch ohne medizinische Begleitung und Messgeräte. Täglich, am besten mindestens zwei Stunden. Es gibt Belege genug. Je länger, desto besser. Mit Blick auf die mit dem Coronavirus verbundenen Risikogruppen (nicht nur Lungenerkrankungen) sowie den Krankheitsverlauf sollten wir schließlich alles nutzen, was unsere  Heilungskräfte stärkt. Im Wald! Denn: Unser Immunsystem ist ein Hunderttausende Jahre langes Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Natur. Fast ein eigenes „Organ“, im ganzen Leib aktiv. Wir haben also evolutiv in der Natur das „Gesundbleiben“ gelernt. Die Abwehr von Viren war und ist menschlicher Alltag. Erworben haben wir uns diese Überlebensfähigkeit aber eben draußen bei Wind und Wetter, Dreck und Keimen, in natürlicher Luft. Also nicht im Spa-Bereich, am PC oder im Auto. Der sogenannte forstliche Außendienst kommt dem schon noch ziemlich nahe, allerdings mit deutlich geringerem Stresslevel, als unsere heutigen Revierförster und Forstwirte „unterwegs“ sind. Zumindest aber sind sie regelmäßig im Wald.

Wald steigert Abwehrkräfte
Trotz Pest und Spanischer Grippe hat unsere Gattung überlebt. Viren sind unsere Begleiter. Wir sind heute besser informiert, mengen- und regelmäßig besser ernährt. Medizinisch zumindest im Notfall weiter. Die Chancen stehen heute also besser als im Mittelalter. Immerhin. Angesichts der Corona-Bedrohung fragen sich dennoch viele Menschen auch, was sie tun können, um für den Fall einer Ansteckung möglichst fit zu sein. Medikamente gibt es noch keine. Auch der Wald rettet nicht vor Erkrankungen, aber er verbessert die Chancen, gesund zu bleiben. Ich meine aus eigener Erfahrung, erheblich. Im Wald ist unser Immunsystem zu Hause. Hier kann es weiter trainiert werden. Ja, auch zur Vorbereitung auf bisher unbekannte Viren wie die aktuelle Coronaform Covid-19. Nicht nur das erwähnte Training des Lungenvolumens, sondern vor allem die vitale ganzheitliche Abwehrkraft für den Fall des Infektes mit Corona lässt sich deutlich erhöhen, wenn täglich länger im Wald „gebadet“ wird. Nur ein Beleg: In japanischen Studien wurde schon bei einem 2-stündigen Waldgang eine Verdopplung der sogenannten „Killerzellen“ nachgewiesen. Interne Helfer, die wir gut gebrauchen können, wenn die Nase läuft oder Schlimmeres droht. Wer mag, recherchiere hier die einschlägige Literatur unter den Begriffen Waldbaden, Biophilia, Shinrin Yoku, Terpene … „Terpene“ ist so ein Schlüsselwort, das uns zum Gesundheitszentrum Wald führt. Diese werden vor allem für die Wirkungen auf das Immunsystem und den Hormonhaushalt verantwortlich gemacht und gelobt. Es sind ganz und gar natürliche flüchtige Substanzen in der Luft, Ausdünstungen der Pflanzenwelt – unserer grünen Freunde. Auf dem Stadtrasen gibt es die auch, aber kein Vergleich zum wilden Wald. Im Wald weisen Terpene und andere Luftmedizin eine besonders hohe Konzentration auf. Und zwar in Höhe unserer menschlichen Nasen. Festgehalten unter dem Dach des oft mehrschichtigen Waldes. So freundlich sind die Bäume zu uns, nicht nur zu ihresgleichen. Aber nicht nur die Nadelbäume und hier etwa die berühmten Zedern liefern diese Medizin, sondern jeder Wald. Am meisten nach einem Regen, wer von uns hätte das nicht schon gewusst? Nicht nur das Wild ist nach dem Regen „draußen“ oder wir dann nur wegen des Wildes. Der Wald macht mit uns – wer mag, auch für uns – natürlich noch viel mehr. Er wirkt durch Stärkung des parasympathischen Nervs (des sogenannten „Nervs der Ruhe“) beruhigend und nimmt uns sicher auch etwas die Ängste, was wiederum positive Rückwirkungen auf die Abwehrkräfte hat. Tief reingehen und runterkommen. Erst im Gleichgewicht sind Gesundung und positives Wachstum möglich.
Auch das ist bekannt. Schon zwei Stunden am Tag im Wald steigern die Gesundheit messbar.

Wirklich eintauchen
Es ist dafür also wichtig, im Wald wirklich einzutauchen, absichtslos umherzustreifen und den Wald im Detail mit allen Sinnen wahrzunehmen. Für Forstleute ist dies sicher eine besondere Herausforderung. Mal ohne arbeitenden Waldbaublick, ohne Verkehrssicherheitskontrolle, ohne Zorn bei Verbiss- und Schälschäden einfach so im Wald zu sein. Wem es gar zu schwer fällt, der tausche mal mit dem Kollegen in der Freizeit für Stunden das Revier. Vielleicht ohnehin mal eine gute Idee, wieder beim Nachbarn in den Wald zu schauen. Wertfrei, versteht sich. Solange Corona uns nervt, gönnen wir uns und dem anderen die Freiheit von Nutzungsreserven, Pflegerückständen und anderem Wichtigen. Gern gleich als Übung für danach. Der Wald wirkt zwar auch als Kulisse, aber je intensiver wir uns auf ihn einlassen, desto höher sind die gesundheitsfördernden Wirkungen. Dies war auch die Voraussetzung für den Erfolgsnachweis in den medizinischen Studien. Also Handy aus und den körpereigenen Großrechner auch mal im Stand-by-Betrieb halten. Querwaldein. Mal rückwärts probieren. Mal hinlegen. Und wer sich auch unbeobachtet nicht geniert, einfach mal anlehnen an den „hölzernen Kumpel“, der sonst eher Bestandesglied irgendeiner Kategorie ist. Z-Baum oder nicht!? Schon lange nicht am Moos gerochen? Die Harzbeule der Küstentanne mit dem Finger zerdrückt? Die Spechttrommel gehört und dann den Zimmermann auf dem toten Resonanz-Ast entdeckt? In Resonanz zum Wald und zu sich selbst. So viel Zeit ist nun erst recht drin. Auch für uns waldgrüne Fachleute. Für dich.

Einladung an alle!
Genau. Dies ist ja eine Zeitung von und wohl auch vor allem für Försterinnen und Förster. Doch sie wird bestimmt auch von anderen Waldfreunden gelesen. Alle, die unseren monatlich aktuellen Bestseller nicht in die Hand bekommen, laden wir daher in den Wald ein. Persönlich. Aber da wir aktuell noch nicht genug sind,  brauchen wir die Medien als Multiplikatoren. Die Zeitungen sind voll von Corona-Artikeln, Fotos mit leeren Klopapapierregalen, und per WhatsApp fluten Comics, Filmchen und Gifs. Alles Corona? Journalisten nehmen
gern Positives, Hilfreiches aus vertrauenswürdiger Quelle. Lassen wir es sprudeln.
Wir laden also am besten in den ganz realen Wald ein. Vergessen dafür nicht den Ursprung, aber doch die hinderlichen Wirkungen von Reviergrenzen auf uns selbst und machen alle Waldbäume zu Z-Bäumen. Wald und Gesundheit haben m. E. keine Renaissance. Vielleicht wird das Wertepaar unter den Bedingungen der Hochzivilisation im Corona-Krisenmodus jetzt erst wirklich entdeckt. Endlich auch wissenschaftlich. Und – ich hoffe – „nachhaltig“.

Dabei sein
Die medizinische Forschung läuft uns voraus. Wir sind mit dabei. Wenn auch noch zu wenig. Die Menschen aber sollen und werden kommen. Der Wald vor der Haustür steht allen offen. Wir sind vorbereitet!? Eine nicht ganz neue Aufgabe, aber eine neue Dimension, die vor allem Herz und Haltung braucht. Und Verstand, Weitblick. Noch mehr arbeiten? Vielleicht braucht diese Arbeit weniger die Hand als die kranken Fichten, die  Standortserkundung oder das hoheitliche Handeln. Ganz bestimmt! Aber ganz sicher auch ein strategisches Handeln ganz im Sinne der Neuentdeckung der dritten Säule der „Dreifaltigkeit“ aller Waldgesetze. Nutzfunktion
– ist doch klar! Schutzfunktion – ja, auf der ganzen Fläche! Und die Erholungsfunktion? – Macht hoch die Tür! Forstlich muss dies „oben“ klar sein, damit es „draußen“ auch gut laufen kann. Partnerschaft ist hier besonders essenziell, damit die „Praxis Dr. Wald“ gelingt.

Zwischen den Bäumen ist viel Platz
Und die Corona-Verordnungen? Ja, natürlich gilt es auch hier, den Abstand zu anderen Waldbesuchern
zu wahren. Ob allein, als Paar oder im kleinen Kreis der Familie, raus in den Wald! Gemeinsame  Gruppenerlebnisse im Wald, etwa als Zeichen und Element eines neuen Zusammenlebens der Gemeinschaften,
sind für die Post-Corona-Zeit mein Vorschlag und ein hoffentlich zunehmend forstlicher Wunsch, dem heute Taten folgen. Die Saat dafür kann jetzt in den Boden gebracht werden. Nicht Corona bereitet den Boden, sondern  wir. Ja, Auszeit nutzen, Keimruhe. Dann Anflug oder Aufschlag. Alles ist willkommen! Es ist Frühling, Forst 2.0 – nach Carlowitz und ganz in seinem Sinne. Alle Probleme der Nachhaltigkeit haben ihren Ursprung im Sozialen. Und „sozial“ bedeutet laut Thesaurus „zwischenmenschlich“. Zwischen den Bäumen ist viel Platz. Dafür und gern auch durch und mit uns! Und noch mal: Ob Bäume ein Gehirn haben oder nicht, den Streit hol der Fuchs. Man mag das Bäume-Umarmen vielleicht komisch finden, aber Bäume geben uns nicht nur in Zeiten eingeschränkter mitmenschlicher Kontakte Halt. Der Wald kennt kein Corona! Wir kennen den Wald. Und bringen beides zusammen. Wald und Mensch. Auch das ist nachhaltige Forstwirtschaft. Hier: Not about trees, sondern darunter, mitten im Wald.
Peter Rabe

Artikel in BDF aktuell Mai / 2020

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