Was wäre das Waldgebiet des Jahres 2019 ohne einen kurzen geschichtlichen Rückblick?

Beginnen wir mit der Römischen Besatzung in den linksrheinischen Gebieten des damaligen Germaniens. Diese Besatzungszeit dauerte immerhin rund 500 Jahre von den Eroberungen Caesars um 55 vor Christus bis zum Zusammenbruch des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert nach Christus. Der Limes, die römische Grenzbefestigung am Rhein, trennte das „zivilisierte römische“ Germanien von den nicht unterworfenen „wilden“ germanischen Stämmen auf der rechten Rheinseite.

Da die Römer einen hohen Bedarf an Holz und seinen Produkten hatten, wurden die Wälder schon mehr oder minder planvoll bewirtschaftet. Auf der rechten Rheinseite hingegen wurde er ziemlich unreguliert für den täglichen Bedarf genutzt. Rodungen erfolgten auf der linken, der „römischen“, Rheinseite allerdings wesentlich intensiver, vor allem für Militärlager, Städte und sonstige Ansiedlungen.

Zu dieser Zeit war der Wald noch „herrenlos“, er gehörte niemandem.

Im frühen 7. Jahrhundert, der Zeit nach den großen Völkerwanderungen, entstanden in Germanien die ersten Herrschaftshäuser. Gleichzeitig wurden erstmals Eigentumsrechte am Wald reklamiert. Auslöser war aber nicht unbedingt die Nutzung des Rohstoffes Holz, sondern die ungestörte Jagdausübung. Durfte zu römischer Zeit noch jedermann frei jagen, so wurde mit dem Einfluss der Herrschaftshäuser dieses Recht immer mehr eingeschränkt. Im Laufe der Zeit entstanden auch die ersten „Kommunalwälder“. Das waren Wälder, die im Eigentum der Städte und nicht der Herrschaftshäuser standen. Dies traf insbesondere auf die Städte zu, deren Stadtrechte „reichsunmittelbar“ waren. Das bedeutete, dass diese Städte direkt dem König unterstanden und nicht einem regionalen Landesherrn. Als Beispiel einer reichsunmittelbaren Stadt sei Dortmund genannt.

Die starke regionale Zersplitterung der Herrschaftsansprüche wird deutlich, wenn man den Kartenausschnitt aus dem Jahr 1560 betrachtet. Im ausgehenden Mittelalter ist das Gebiet des heutigen NRW ein Flickenteppich verschiedenster, zum Teil untereinander zerstrittener Herrschaftshäuser, auch kirchliche und weltliche Herrscher stritten um die Vorherrschaft. Nur die Stadt Dortmund, die sich darauf beruft, von Karl dem Großen gegründet zu sein, sticht aus diesem Puzzle heraus.

Im Laufe der folgenden Jahrhunderte haben aber fast alle diese Regionalherrscher ihre Eigenständigkeit wieder verloren, auch wenn das Gebiet des Wald des Jahres 2019 sehr unterschiedliche Entstehungs- und Entwicklungszeiten erlebt hat.

Ab etwa 1500 n. Chr., dem Nachmittelalter, wurde der nicht im landesherrlichen Besitz stehende Wald häufig gemeinschaftlich in Form von Markgenossenschaften bewirtschaftet. Die Markgenossenschaften waren ein oft mehrere Dörfer oder Einzelhöfe umfassender historischer Siedlungsverband mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Gerichtsordnung. Der landesherrliche Wald hatte nach wie vor überwiegend jagdlichen Zwecken zu dienen und war für die Bevölkerung tabu. Der Markenwald hingegen wurde häufig durch landwirtschaftliche Nutzung wie Waldweide und Nutzung der Laub- und Nadelstreu (Streunutzung, Plaggenhieb) als Einstreu für die Viehställe seiner Nährstoffe beraubt. Dies führte auf Dauer zu einem gewaltigen Nährstoffentzug im Wald und damit zu einer Übernutzung, von der sich der Wald gar nicht oder nur kaum erholen konnte.

Um die Wende zum 19. Jahrhundert wurden die Marken wieder aufgeteilt und der Wald vom gemeinschaftlichen in privates Eigentum überführt.  Die Markenteilung kann man als eine Frühform der heutigen Flurbereinigung bezeichnen. Zeitgleich  wurden die Bauern „befreit“, das heißt die Bauern verloren weitgehend ihr Abhängigkeitsverhältnis zu den Landesherren (Leibeigenschaft). Als direkte Folge zusammen mit der Säkularisation 1803 – kirchliches Eigentum wurde vom Staat übernommen -, der napoleonischen Besatzungszeit am Rhein sowie der Ergebnisse des Wiener Kongresses 1814/1815 nach dem Sieg über Napoleon wurden auch die Besitzverhältnisse in der Region des Waldgebiet des Jahres 2019 grundlegend neu strukturiert.

Linksrheinisch waren schon relativ früh viele Wälder dem Königreich Preußen zugeteilt. Das erkennt man unter anderem daran, dass im Rheinland der Anteil an Staatswald deutlich größer als in Westfalen ist. In Westfalen hatten die französischen Besatzer große Waldflächen an die neuen adeligen Landesherren übertragen. Restflächen der Markenwälder gingen als Kleinwaldbesitz an neue Eigentümer.

Neben den politischen Umwälzungen gab es aber auch wirtschaftliche Veränderungen, die wesentlichen Einfluss auf das Waldeigentum hatten. Mit der Industrialisierung und dem damit steigenden Energiebedarf ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich neue Industriebetriebe, vor allem Steinkohlezechen. Aufgrund ihres großen Holzbedarfes für Streckenausbau und Gebäude erwarben diese große Waldflächen.

Wegen des ständig steigenden Holzbedarfes wurde auch im bislang noch landwirtschaftlich geprägten Weichbild der Industriereviere an Rhein und Ruhr immer mehr Fläche aufgeforstet. Aufgrund des schnelleren Wachstums und der geringen Ansprüche an die Nährstoffversorgung wurden bei der Aufforstung Kiefer und Fichte zur Hauptbaumart. Der Wald im Kern des Ballungsraums hingegen stand einer weiteren industriellen Entwicklung entgegen, er diente, wie manchmal auch heute noch, als preiswerte Reserve für Verkehrsflächen und vor allem für den Bau von Wohnquartieren, er bezahlte mit seiner Fläche den wirtschaftlichen Aufschwung.

 

Mit der Intensivierung der Holzproduktion durch die Monokulturen von Fichten- und Kiefernwälder an der Wende zum 19. Jahrhundert schwand auch das Interesse an den Nebenerzeugnissen, die der Wald jahrhundertelang geliefert hatte. Zu nennen sind insbesondere das Sammeln des Honigs wilder Bienen (Zeidlerei), das Sammeln der Laubstreu für Kopfkissen und Bettdecke, Asche-, Pech und Gerbrindegewinnung und vieles mehr. Land- und forstwirtschaftliche Nutzungsflächen trennten sich immer mehr. Im Grunde genommen war diese revolutionäre Entwicklung die Geburtsstunde der modernen Forstwirtschaft, die historische Waldnutzungsbetrachtung wich einer moderneren Ansicht.

Für die Betreuung des Staats- und Gemeindewaldes hatte die preußische Verwaltung weitreichende Regelungen erlassen: der Wald musste durch fachlich ausgebildetes Personal betreut werden, auch wenn diese Ausbildung nicht immer hoch qualifiziert war. Auch der Großprivatwald, insbesondere im westfälischen Teil, nutzte immer mehr das forstliche Knowhow der forstlich Ausgebildeten, selbst wenn der Schwerpunkt häufig immer noch auf der Jagd – zum Teil bis heute – lag und liegt.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich langsam ein liberalisiertes Denken in Politik und Gesellschaft. Dieser Trend stand aber einer – zum damaligen Zeitpunkt nicht existenten – staatlichen Beratungsorganisation für den Klein- und Kleinstwaldbesitz entgegen. Wenn überhaupt, dann sollte es eine privat, zumindest aber nicht staatlich, organisierte Beratungsinstitution sein. Denn nur eine solche, so der Zeitgeist, überließ dem Waldbesitzenden seinen freien Entscheidungswillen.

1899 gründeten sich schließlich in den damals preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen Landwirtschaftskammern. Aufgrund der Wünsche der meist bäuerlichen Waldbesitzenden richteten diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts ganz lose agierende forstliche Beratungsstellen ein. „Beratungsforstämter“, die auf die forstliche Betreuung der Privatwald Besitzenden spezialisiert waren, entstanden erst Mitte der dreißiger Jahre unter der Führung des Reichsnährstandes [1].

Mit dem Übergang zum 20. Jahrhundert entdeckten insbesondere die Städte und Gemeinden, die nennenswerten eigenen Waldanteil besaßen, die Wichtigkeit der Erholungsfunktion für die meist unter schwierigen Bedingungen arbeitende städtische Bevölkerung, insbesondere in der Industrie. Die „Wald-Ökosystemleistung“ war geboren, auch wenn sie noch nicht so bezeichnet wurde. Grünzonen und Wälder in Stadtnähe wurden an dieser Funktion ausgerichtet und entsprechend bewirtschaftet. Als Beispiele seien die Gründung des “Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR)“ 1920, heute „Regionalverband Ruhrgebiet (RVR)“ und den auf seine Anfänge im Jahre 1895 zurückgehenden Kölner Grüngürtel genannt.

In der Zeit nach 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, schwand das Interesse am Produkt „Holz“ insbesondere im Ballungsraum an Rhein und Ruhr erneut. Der Wald wurde massiv zurückgedrängt. Gründe waren- wie schon im 19. Jahrhundert -  insbesondere die immer größer werdende Flächenkonkurrenz zu Wohnsiedlungsbau, der Flächenbedarf der wieder auflebenden Industrie sowie der zunehmende Individualverkehr. Hinzu kamen die Übernutzungen während des Zweiten Weltkrieges, die sich an den Zusammenbruch anschließenden Reparationshiebe der Siegermächte sowie der dringende Bedarf der Bevölkerung an Brennstoff.

Doch auch die noch vorhandenen Wälder hatten mit den Kriegsfolgen massive Probleme, denn das Rheinland war bis zuletzt hart umkämpft. Bis in die heutige Zeit sind vor allem die älteren Waldbestände durch Splitterschäden als Folge von Beschuss mit Granaten oder Abwurf von Bomben geschädigt. Da das Holz aus solchen Wäldern nur eingeschränkt verwertet werden kann, sind oft massive Preisabschläge zu verzeichnen.

Zwar sank mit der Zeit das wirtschaftliche Interesse an der Bewirtschaftung der Wälder mit dem Ziel „Holzproduktion“, doch wuchs im ausgehenden 20. Jahrhundert ein neuer „Markt für Waldprodukte“ heran. Das hohe Interesse an den „sozioökonomischen Dienstleistungen“ des Waldes, früher nannte man sie „Schutz- und Erholungsfunktionen“,  spielt insbesondere im Ballungsraum heute eine immer wichtigere Rolle. Auch wenn eine finanzielle Bewertung dieser Dienstleistungen noch aussteht, spiegelt sie doch eine ganz besondere Herausforderung nicht nur für die Waldbesitzenden, sondern auch für die den Waldbesitz betreuenden Försterinnen und Förster als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben.

 

[1] Der Reichsnährstand war eine ständische Organisation in der nationalsozialistischen Zeit von 1933 bis 1945 (1948), zunächst als selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts, danach „gleichgeschaltet“.

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